Der Mentale Ursprungsort: Wer steuert Dein Handeln?
Der Begriff "Mentaler Ursprungsort" (im Englischen oft als Locus of Origin bezeichnet) ist ein zentrales Konzept in der modernen Psychologie, insbesondere in der Selbstbestimmungstheorie (SDT) von Edward Deci und Richard Ryan. Er befasst sich mit einer grundlegenden Frage unseres Erlebens: Wie nehmen wir die Quelle und die Steuerung unseres eigenen Verhaltens wahr?
Kurz gesagt: Der Mentale Ursprungsort ist die subjektive Empfindung, ob wir uns als Urheber unserer Handlungen fühlen oder als Spielball äußerer Kräfte.
1. Die Zwei Pole des Mentalen Ursprungsorts
Das Konzept spannt sich zwischen zwei extremen Polen auf, die das Ausmaß unserer Autonomie und Selbstbestimmung reflektieren:
Interner Ursprungsort (Locus of Origin: Internal)
Der interne Ursprungsort wird erlebt, wenn eine Person ihre Handlungen als selbst initiiert und frei gewählt empfindet. Man fühlt sich als der „Urheber“ oder die „Quelle“ des eigenen Verhaltens.
Motivation: Das Handeln wird von intrinsischer Motivation (Interesse, Freude, persönliche Werte) oder autonomer extrinsischer Motivation (Persönliche Wichtigkeit, Integration in das Selbstbild) angetrieben.
Gefühl: Wahlfreiheit, Verantwortung und Autonomie. Man agiert, weil man will!
Beispiel: Du entscheidest, ein neues Buch über Astronomie zu lesen, weil Dich das Thema fasziniert und Du mehr wissen möchtest.
Externaler Ursprungsort (Locus of Origin: External)
Der externale Ursprungsort liegt vor, wenn eine Person ihr Handeln als durch äußeren Druck, Zwang oder Kontrolle ausgelöst wahrnimmt. Man fühlt sich wie eine „Marionette“ oder ein „Objekt“, das von anderen gesteuert wird.
Motivation: Das Handeln wird durch kontrollierte extrinsische Motivation (Belohnungen, Strafen, Schuldgefühle, strikte Vorgaben, soziale Erwartungen) angetrieben.
Gefühl: Druck, Anspannung, Fremdbestimmung und Mangel an Wahlfreiheit. Man agiert, weil man muss!
Beispiel: Du liest ein Fachbuch, weil Dein Vorgesetzter es verlangt und Du Angst vor negativen Konsequenzen hast, wenn Du es nicht tust.
2. Die Psychologische Bedeutung
Die Verortung des Mentalen Ursprungsorts hat tiefgreifende Auswirkungen auf unser Wohlbefinden, unsere Leistung und unsere mentale Gesundheit:
Psychische Gesundheit: Ein dominierend interner Ursprungsort wird direkt mit einem höheren Maß an psychischem Wohlbefinden, Zufriedenheit und Vitalität in Verbindung gebracht. Wer sich selbstbestimmt fühlt, kann Stressoren besser bewältigen.
Motivation und Leistung: Autonom (aus internem Ursprung) motivierte Menschen zeigen in der Regel höhere Kreativität, bessere Problemlösungskompetenz und größere Ausdauer bei Herausforderungen.
Verantwortungsübernahme: Wer seine Handlungen als intern gesteuert erlebt, übernimmt leichter Verantwortung für die Ergebnisse, da die Entscheidungsfindung bei ihm selbst lag.
3. Abgrenzung zum "Locus of Control" (Kontrollüberzeugung)
Obwohl der Mentale Ursprungsort (Locus of Origin) und der Locus of Control (Kontrollüberzeugung) eng verwandt sind, bezeichnen sie nicht dasselbe:
Mentale Ursprungsort (Locus of Origin): Bezieht sich auf die Quelle der Handlung (Warum handle ich?). Es geht um das Gefühl der Autonomie.
Locus of Control (Kontrollüberzeugung): Bezieht sich auf die Erwartung von Konsequenzen (Wer bestimmt das Ergebnis?). Es geht um die Überzeugung, ob Ergebnisse durch die eigenen Bemühungen oder durch äußere Faktoren (Glück, Zufall) bestimmt werden.
Beide Konzepte sind wichtig, aber der Mentale Ursprungsort fokussiert stärker auf das Gefühl der Selbstbestimmung im Moment der Handlung.
Fazit
Der Mentale Ursprungsort ist ein mächtiges psychologisches Werkzeug, das erklärt, warum wir manche Aufgaben mit Freude und Engagement angehen und andere nur mit Widerwillen erledigen. Das Erleben von Autonomie und das Gefühl, der Urheber der eigenen Entscheidungen zu sein, ist ein fundamentaler psychologischer Nährstoff für ein erfülltes und motiviertes Leben.